Ein echtes Gebet
(Joh 16,23-33)
Seit Herr P. seine neue Stelle als Teamleiter angetreten hatte, war er wirklich im Stress. Während seine Mitarbeiter – kaum zu Überstunden bereit – pünktlich in den Feierabend und in das Wochenende gingen, hatte er nun die Verantwortung, dass alles funktioniert und rechtzeitig fertig wird. So saß er oft lange im Büro und versuchte das Liegengebliebene allein nachzuarbeiten.
Bisher hatte sein Teamleiter ihn immer zu Überstunden verdonnert und nun, wo er endlich im zweiten Anlauf selbst Teamleiter geworden war, wollte er das besser machen. Aber statt, dass ihm die anderen im Team dankbar waren und sich anstrengten, alles termingerecht zu erledigen, hatte er den Eindruck, dass sie die Zeit geradezu verbummelten. Sie machten längere Kaffeepausen und stritten über den Abwasch in der Büroküche.
Und so saß Herr P. schließlich – wieder nur – er allein jeden Tag länger am Schreibtisch und auch am Wochenende noch lange an den wichtigen Aufträgen.
Aber statt eines Wortes der Anerkennung wurde er zu seinem neuen Chef zitiert. „Ihr Team hängt im Zeitplan P.. Sehen Sie gefälligst zu, dass Sie das Projekt wieder in den Griff bekommen!“, meckerte der Chef. „Aber, nächste Woche ist doch der Feiertag. Das ist doch gar nicht zu schaffen.“ Entgegnete Herr P. Doch der Chef sagte nur: „Lernen Sie endlich sich durchzusetzen!“ Herr P. war stinkwütend.
Eigentlich hatte er sich auf das Wochenende gefreut, da wurde die Tochter einer guten Freundin getauft und er durfte Taufpate werden. Was für eine Verantwortung, sich mit um das Aufwachsen und das Glaubensleben eines jungen Menschen kümmern zu dürfen. Und, was für eine Freude, auf diese Weise nochmal besonders mit der Familie verbunden zu sein!
Aber Herr P. konnte das alles gar nicht richtig wahrnehmen. Er bereute vor allem, dass er sich vollmundig bereit erklärt hatte, die Fürbitten in dem Gottesdienst zu übernehmen.
Die Kinder waren zum Glück den ganzen Tag bei seinen Eltern.
Und so saß er nun, am Samstag, bei strahlend blauem Himmel und bestem Wetter – an einem kinderfreien Samstag – während alle anderen im Freibad, im Park, am Grill oder sonst wo waren und suchte nach Worten. „Lieber Gott“ begann er. Nein das ist viel zu kindlich. „Allmächtiger, Allumfassender, Allschaffender“ – nein, das wirkt wieder zu hochtrabend. Und so blinkte der Cursor über „All-“, während Herrn P. der Grillduft des Nachbarn durch das angekippte Fenster in die Nase stieg. So kann sich doch kein Mensch konzentrieren. „Ich sollte erstmal die Nachrichten anschauen.“, dachte er, schließlich müssen die Fürbitten ja aktuell sein und, wenn nun gerade irgendeine Katastrophe…
Nachdem Herr P. alle Nachrichten gelesen, die Kommentarspalten studiert, 7 Artikel auf Facebook geliked, 4 Retweets auf Twitter geklickt und irgendwie auch 2 Stunden Poetryslams auf YouTube angesehen hatte, war er müde. Warum musste ausgerechnet er bei so schönem Wetter am Computer sitzen und sich Fürbitten ausdenken. Das kann doch der Pfarrer viel besser. Und überhaupt, irgendwie muss man ja auch mal rauskommen und frische Luft macht dem Kopf wider frei…
Herr P. beschloss mit seiner Frau mit den Fahrrädern nochmal zum Badesee zu fahren und dort wenigstens ein Fischbrötchen zu essen. Schließlich wollte er sich ja nicht das ganze Wochenende verderben. Nach drei Fischbrötchen und zwei Bier zum Abendbrot saß er wieder am Rechner. Als er spät abends seiner Frau, die schon im Bett lag, den Ausdruck vorlas, meinte sie nur: „klingt, als wolltest du eine Misswahl gewinnen: Weltfrieden und Gerechtigkeit und so…“ Das sind nun mal die wichtigen Themen und der Pfarrer formuliert es auch nicht besser.“, antwortete er verärgert.
Am nächsten Morgen, als die Familie in der Kirche saß, fing der Pfarrer an zu predigen. „Wenn ihr den Vater in meinem Namen um etwas bitten werdet, wird es euch gegeben werden.“ Hörte Herr P. und dachte: „Wie oft haben wir schon für Gerechtigkeit und Weltfrieden gebetet.“ Das muss doch nun wirklich in Jesu Namen und Sinn sein. Oder? Er griff nach dem Zettel mit der Fürbitte, der neben ihm lag.
Während er so nachdachte, hörte er kaum hin, als der Pfarrer ausführte, was es tatsächlich bedeuten würde, in Jesu Namen, dass heißt, wirklich in seinem Sinn zu leben und zu beten. Und weil Herr P. von der anstrengenden Woche und von der kurzen Nacht müde war, sank er auf die Kirchenbank und schlief ein.
Er begann zu träumen…
… Dann hörte er plötzlich seinen Wecker klingeln und fand sich in seinem Schlafzimmer wieder. Er kramte nach seinem Handy, konnte es aber nicht finden. Nachdem er im ganzen Haus gesucht hatte gab er schließlich auf. Dann ging er los, um Geld abzuheben. In der Bank angekommen erschrak Herr P.. Sein Konto war total leer geräumt. Er schaute immer wieder auf den Kontoauszug. Er konnte gar nicht glauben, dass da wirklich eine Null stand. In Panik griff er nach seinem Handy, um seine Frau anzurufen. Doch das war ja auch weg.
„Das muss sicher ein Fehler von der Bank sein“, versuchte er sich selbst zu beruhigen. Er beschloss, erstmal beim Bäcker an der Ecke mit dem letzten Bargeld, das er noch hatte, einen Kaffee zu kaufen und die Sache danach zu klären.
Beim Bäcker stand eine wütende Schlange. Alle schimpften. Die Kaffeepreise hatten sich über Nacht verdreifacht. Und während Herr P. anstand, fiel sein Blick auf die Zeitung. Dort stand in der Schlagzeile „Welthunger über Nacht gelöst, Ressourcen gerecht neu verteilt.“ „Na wenigstens eine gute Nachricht“, dachte Herr P..
Da wurde er von einem Fremden angesprochen: „Du hast den Zusammenhang noch nicht verstanden oder?“ „Welchen Zusammenhang?“, fragte Herr P..
„Na, dass das alles mit eurem Gebet in der Kirche zusammenhängt. Du hast doch auch mit gebetet, dass die Ressourcen in der Welt gerechter verteilt werden sollen. Was glaubst du, warum dein Handy weg ist. Glaubst du wirklich, dass die seltenen Erden, die darin verbaut sind, bei dir am gerechtesten verteilt sind?“ „Deshalb ist auch mein Konto leer?“ unterbrach Herr P.“ „Genau, entgegnete der seltsame Fremde. Wenn die Ressourcen gerecht verteilt sind, geht es nicht, dass die einen auf ein neues Auto sparen, während andere hungern. Ihr habt hier in Deutschland gelebt, als hättet ihr drei Erden zur Verfügung. Die Ressourcen, die ihr dem Planeten nachhaltig entnehmen konntet, waren schon am 2. Mai aufgebraucht. Alles weitere ging auf Kosten armer und zukünftiger Menschen. Aber das ist ja nun vorbei, dank deines Gebetes. Es wird sicher hart werden. Eure Ressourcen sind ja aufgebraucht für das Jahr. Aber einige in den ehemaligen armen Ländern haben noch etwas übrig. Vielleicht…“
„A…Aber, so war das mit dem Gebet doch gar nicht gemeint.“ stammelte Herr P..
Dann erinnerte er sich an den Zettel, mit der Fürbitte, den er immer noch in der Hand hielt und daran, wie er über die Erhörung seiner Gebete nachgedacht hatte.
Was würde es bedeuten, wenn Gott die Gebete wirklich so wörtlich erhören und umsetzen würde?
Wie wäre das, wenn Gott seinen Willen einfach so radikal durchsetzen würde?
Ob Gott wohl manchmal darunter leidet, dass wir so wenig nach seinem Plan fragen?
Im Namen Jesu beten, könnte zum Beispiel so etwas bedeuten, wie in Gottes Team einzutreten, die Verantwortung nicht bei anderen zu sehen, sondern bei sich selbst anzufangen.
In diesem Moment wurde Herr P. unsanft von einem Rippenstoß geweckt. „Mensch los, du bist dran. Fürbitten!“, hörte er es neben sich zischen.
Während die Kinder kicherten stolperte er nach vorne.
Er hielt sich den Zettel vors Gesicht, Schloss die Augen und begann zögerlich zu beten: „Lieber Gott, im Namen Jesu: Bitte vergib uns, dass wir es oft nicht ernst meinen, wenn wir für Frieden und Gerechtigkeit beten. Verzeih uns, wenn wir uns nur halbherzig für unsere Mitmenschen einsetzen. Sei geduldig mit uns, wenn wir auf Kosten deiner Schöpfung und anderer Menschen leben. Hilf uns zu erkennen, was wir verändern können. Lass uns kleine Schritte gehen und daran wachsen. Wir bitten dich auch für das heute getaufte Kind. Lass es gute Vorbilder im Glauben finden. Zeige ihm durch unsere guten Taten, aber auch durch unsere Fehler, was es heißt von dir zu lernen. Lass uns bei dir geborgen sein. Amen.“
Als er die Augen wieder öffnete, war es ganz still geworden.
Auf der Tauffeier und in den kommenden Tagen dachte Herr P. noch viel über seinen Traum und das Gebet nach. Jedesmal, wenn er den Motor beim Warten ausmachte, das Licht im Flur löschte, neu über sein Team nachdachte und versuchte, seine Gewohnheiten wenigstens in kleinen Schritten zu verändern, hatte sich sein Gebet wohl schon wieder etwas mehr erfüllt.